Christopher starrte auf den Rucksack, welchen er von der Schule mit nach Hause genommen hatte. Das war nicht sein Rucksack. Es lag jedoch keine Verwechslung vor. Seine Schultasche hatte er bei sich, so wie immer.
Trotzdem war sich der Teenager sicher, man konnte diese Angelegenheit nicht als Diebstahl bezeichnen. Auch wenn er darauf brannte, zu wissen, was darin war. Oder ob man ihn aufs Kreuz gelegt hatte.
Es gab eine gute Erklärung dafür, dass der Rucksack nun bei ihm Zuhause stand!
Spulen wir die Zeit etwas zurück, auf den Morgen desselben Tages.
Da passte man ein Mal nicht richtig auf und dann so etwas. Bisher war es Christopher immer gelungen, das kleine Gerät versteckt zu halten.
Jetzt befand es sich in der Hand seiner Lehrerin.
In der Schulklasse machte sich Tuscheln breit, vermischt mit einer guten Portion Gelächter.
„Während dem Unterricht ist die Nutzung von Spielzeug untersagt. Nach der Schule kannst du es wieder abholen. Ich will nicht, dass deine Noten im Deutschunterricht einbrechen, Christopher.“ belehrte die Lehrerin ihn,
als sie sein Gerät in ihr Pult legte.
Danach fuhr sie mit besagtem Deutschunterricht fort.
Wenn man Christopher fragte, war der Kommentar zu seiner Note überflüssig gewesen. Der 15-Jährige kam im Fach Deutsch nämlich bestens zurecht. Die Lehrerin verstand nicht,
dass es ihm trotz der Anwendung seines "Spielzeugs" während dem Unterricht gelang, konstante Leistungen in Form von 2er-Noten zu zeigen.
Außerdem war das kein "Spielzeug" per se, sondern eine kleine Videospiel-Konsole. Darin zog man ein digitales Wesen auf, das man gegen die Wesen anderer Leute, welche ebenfalls eine der der handflächen-großen Konsolen besaßen,
antreten lassen konnte.
Dabei gab es Schönheits-, Geschicklichkeits- und Stärke- Wettbewerbe.
Christopher hatte sein Wesen in dem Gerät schon während der letzten 12 Deutschstunden aufgezogen. Unbemerkt, wohlbemerkt. Dazwischen gab es schon 1 Test und 1 Klassenarbeit in Deutsch,
die der Schüler eines Gymnasiums alle mit einer 2 absolviert hatte. Genau genommen passte Christopher jetzt weniger auf als zu der Zeit, als er parallel zum Unterricht auf der Konsole gespielt hatte.
Seine Gedanken kreisten ohne die Konsole nämlich viel mehr darum, was er gerade nicht damit tun konnte.
Als endlich die Pause gekommen war, holte Christopher seine zweite Konsole hervor.
Selbstverständlich hatte er immer Ersatz dabei. Das Monster auf der Zweitkonsole war leider nicht ganz so weit fortgeschritten. Vielleicht war das auch besser so - denn niemand wollte mehr mit ihm spielen.
So saß der Teenager ganz alleine auf seiner Lieblingsbank. Hin und wieder blickte er ein wenig missmutig zur Versammlung der Spielenden.
Die meiste Zeit galt seine Aufmerksamkeit aber dem Mini-Display der winzigen Konsole in seinen Händen.
Christophers andauernde Siegessträhne in den Pausenhof-Duellen brachte ihm zwar Erfolg, aber keinerlei neue Herausforderer. Dabei war ihm das Gewinnen zweitrangig. Er wollte vor Allem das Spiel spielen,
dabei wurde er eben automatisch besser darin. Er hatte sich auch schon als Tutor für weniger erfahrene Spieler versucht. Doch schließlich war ihm vorgeworfen worden, er würde irreführende Tipps verteilen,
um weiterhin gewinnen zu können. Dabei setzten die Anderen seine Ratschläge nicht konsequent um! Christopher hatte wirklich aus dem Vollen seiner Erfahrung geschöpft und kein Geheimnis ungelüftet gelassen.
Zumindest keine Geheimnisse, denen er schon auf die Spur gekommen war.
Jedenfalls war die Tutor-Geschichte komplett nach Hinten losgegangen und hatte ihm nur noch weniger Spielmöglichkeiten beschert.
Gerade dachte Christopher daran, sich mit seinem schwächeren zweiten Monster unter die Spielenden zu mischen, da hörte er, wie sich neben ihm jemand auf die Bank setzte.
Als er neben sich schaute, stand dort jedoch der Rucksack. Dessen Abstellen hatte wohl nur so geklungen, als hätte sich jemand gesetzt. Weiteres Umsehen, wer das getan haben könnte, ergab keinerlei Verdächtige.
Ein klein wenig merkwürdig war das Ganze ja schon. Noch merkwürdiger war aber der Zettel am Rucksack, der ihm bei genauerer Betrachtung auffiel. In der saubersten und deutlichsten Handschrift, die er bisher gelesen hatte,
stand darauf geschrieben:
„Wir glauben, dass du eine neue Herausforderung suchst. Wenn das stimmt, wird dir unser Geschenk gefallen. Bitte mache die Tasche nur auf, wenn du alleine bist.“
Wer würde den Rucksack nicht mit nach Hause nehmen?
Alle anderen Fragen kamen Christopher erst, als er Zuhause darauf starrte. Voller Neugierde, was darin sein mochte und doch nicht dazu fähig, ihn zu öffnen.
Wer war "wir"? Was sollte das für eine Herausforderung sein? Das war alles zu schön, um wahr zu sein. Wenn es aber eine Falle war, warum sollte er sie alleine öffnen? Die Fallensteller würden doch dabei sein wollen,
wenn ihr Plan Wirklichkeit wurde. Außer es war eine Stinkbombe oder etwas in dieser Art.
Doch was auch immer passieren würde, solange keine Live-Bild-Kamera darin war, bekäme es jetzt auch niemand außer Christopher mit.
So kam der Junge auf die Idee, vorsichtig von Außen abzutasten, womit er es zu tun haben könnte. Warum war ihm das nicht gleich eingefallen?
Der Rucksack war nicht besonders voll. Schwer war er beim Tragen nach Hause gewesen, es handelte sich um viel Luft Oben und schwere Nutzlast Unten. Ein fester, Quaderförmiger Gegenstand mit unregelmäßiger Oberfläche.
Bestimmt keine Kamera, keine Stinkbombe. Eher eine Art Kasten, mit Lauter seltsamen Dellen und Beulen. Endlich war die Hemmschwelle niedrig genug, dass Christopher den Reißverschluss öffnete und einen Blick hinein wagte.
