Teil 1: Er ist weg!
Am folgenden Morgen wurde Lasdan von lauten Schlägen gegen die Holztür des Heuschuppens geweckt. Zuerst streckte sich der Junge einmal kräftig durch. Die schöne warme Wolldecke, in die er eingewickelt war, streifte er dabei ab - nur, um sie gleich darauf wieder fröstelnd zu sich zu ziehen. Durch die vielen Ritzen drang zwar die helle winterliche Morgensonne, doch das reichte nicht.
"Los, Winzling! Komm endlich raus und arbeite!" tönte Jakobi hämisch.
Schon vernomm er das Lachen der anderen zwei Knappen. Darian machte bei so vielen helfenden Händen im Prinzip nichts selbst. Lasdan hasste es zwar, dauernd von seinem Ritter und den Älteren der Jungen herumkommandiert zu werden. Er musste jedoch zugeben, dass er es an der Stelle seines Herrn eigentlich genauso gehandhabt hätte.
"Komm raus du Wurm, sonst sag ich es Ritter Darian!" erfreute sich Jakobi einmal mehr an seinen Befugnissen als ältester Knappe.
"Ich bin gar nicht so viel kleiner als du..." murmelte Lasdan beim Aufstehen.
Als er sich nach seinen Klamotten umsah, fiel ihm wieder ein, dass er die zur Strafe abgenommen bekommen hatte. Also schleifte er sich in der Wolldecke zum Ausgang. Er rüttelte an der Tür, doch es tat sich nichts.
"Sehr witzig. Ihr müsstet schon aufschließen." gab Lasdan zu verstehen.
"Es ist offen, du bist nur zu schwach." giggelte Jakobi.
Seit wann ging die Tür denn derart schwer auf? Lasdan warf sich mit seinem ganzen, nicht gerade gewaltigen Gewicht dagegen. Das musste aber wiederum zu viel Kraft gewesen sein, denn er stolperte geradewegs hindurch.
Auf einmal fühlte er mit einem Stechen, wie etwas ungeheuer Kaltes von oben herab seinen Körper erfasste.
"Eiswasser?" stöhnte Lasdan.
"Gern geschehen, ahahaha!" quikte Jakobi wie ein wildgewordenes Schwein.
Er war nebenbei bemerkt auch mindestens genauso fett.
"Was soll das???" rastete Lasdan aus.
"Wir haben nur an dich gedacht! Weil du doch morgens stetig klagst, dir sei so furchtbar heiß! Haaa haaa haa!" erklärte Willem an Jakobis Stelle, weil Dieser vor Quiken kaum noch Luft bekam.
"Ihr seid wahnsinnig, ich erkälte mich noch!" beschwerte sich der Junge.
"Aber das wäre ja schrecklich, heute Abend ist Wintersonnenwende!" spielte Kinal, der jüngste der vier Knappen, den Besorgten.
Das war Lasdan völlig entfallen. Das größte Fest des Winters stand bevor, niemand würde dies verpassen wollen! Schon gar nicht Lasdan.
"Ihr dreckigen Ba..." fing er an.
"Was ist hier los?" erhob in diesem Moment Ritter Darian seine Stimme.
Lasdan war kein Kameradenschwein und hielt seinen Mund. Sie würden ohnehin wie so oft mangels echter Beweise davon kommen und ihm dann nur noch mehr Probleme machen. Zudem konnte er nicht riskieren, dass der kleine Kinal mit ihnen bestraft wurde. Lasdan wusste, dass der eigentliche Winzling in der Truppe nur mitmachte, weil er es noch nicht besser wusste. Bei seinem vorherigen Herrn war Lasdan selbst der Allerjüngste gewesen und die Situation fast die Gleiche.
Allerdings konnte Darian heute wohl wie durch ein Wunder Eins und Eins zusammenzählen. Als ihm niemand antwortete, gab er zu verstehen:
"Lasdan, sofort ins Haus mit dir! Hole dir deine Kleider und hänge umgehend diese Decke zum Trocknen auf. Ihr drei, zu mir."
Das ließ sich der Jüngling in der Wolldecke nicht zwei Mal sagen. Nicht nur, weil ihm langsam alles einfror, sondern auch, weil er sich das Grinsen verkneifen musste, rannte er so schnell es ging in die warme Stube.
Drinnen empfing ihn der glasige Blick von Darians Mutter, einer dürren Alten, der man gar nicht zutraute, dass sie sowohl körperlich als auch geistig noch auf größter Höhe war.
"Mhhh...." knurrte sie missmutig.
"Dummer Junge, mh, weißt nicht, wie man wertvolle Sachen behandelt. Bist du nicht alt genug mittlerweile, mmmmmh. Zu meiner Zeit hätte ich dir noch Manieren beigebracht, mhm. Gib sie her." forderte sie, wartete aber keine Reaktion ab, sondern grabschte gleich nach der Wolldecke.
Zu den anderen Jungen war sie genauso freundlich, also lag es wohl nicht daran, dass Lasdan hier der Neue war. Vor fünf Monaten war sein alter Ritter...
"Lass los." hörte er plötzlich eine beruhigende weibliche Stimme in seinem Kopf.
Ein wenig verwirrt, von woher sie ihm in den Sinn gekommen war, bemerkte er ein wenig zu spät, wie die alte Frau ihm die Decke wegzog.
"Hee!" machte er und hielt schnell die Hände vor sein bestes Stück.
"Mh." grummelte sie unbeirrt und verschwand in die Waschküche.
Hatte sie nichts gesehen oder kümmerte es sie nur einfach nicht? Lasdan dachte kurz über diese Frage nach, bis es ihn fröstelte und er zum Kamin huschte, wo den ganzen Tag ein herrlich warmes Feuer prasselte.
Da fiel es ihm auf.
Endlich fror er wieder!
Er war weg!
Der Traum, er hatte ihn in dieser Nacht nicht mehr geträumt!
Das und ein wenig Gerechtigkeit - er konnte sich wunderbar ausmalen, wie Jakobi und Willem eine Standpauke bekamen - was wollte man noch mehr?
Richtig, das Fest! Also nichts wie rein in die Klamotten und raus, tatkräftig anpacken. Sonst konnte er sich kaum eine Erlaubnis von Darian erhoffen, hingehen zu dürfen. Das würde ohnehin schwierig, denn er war sich nicht so sicher, ob seine letzte große Tat mit der Nacht im Heulager schon vollends abgestraft war.
